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Krankheit als Entwicklung eines Individuums sehen

  • Autorenbild: David Weber
    David Weber
  • 11. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

"Ich habe einen Infekt bekommen"

"Ich habe einen Bandscheibenvorfall bekommen"

"Ich habe einen Tumor bekommen

....


Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen und verdeutlicht einmal mehr in welchem Dilemma wir stehen: Krankheit und Symptome werde in vielen Fällen als Zustand angesehen. Als sei eine Krankheit oder ein Symptom ein Gegenstand, der dort drüben steht und wir hier. Die Krankheit bewegt sich auch uns zu und fängt uns ein. Nun tragen wir diese Krankheit als eine Art Rucksack mit uns und versuche sie loszuwerden. Krankheit wird als externe, unabhängige Sache der Natur verstanden, die besiegt werden muss. Ergo müssen bei einer Erkältung die Viren bekämpft werden.

Hier kann man die Krankheit als Entwicklung sehen: Eine andere Formulierung hierzu könnte auch sein: "Nachdem ich mich wochenlang nicht um meine Gesundheit gekümmert habe, jeden Tag 10 Stunden gearbeitet habe, permanent Stress hatte, keine Zeit zu essen hatte, wenig Schlaf hatte, wurde ich krank. Die Krankheit ist Teil von mir geworden, weil ich mich nicht um mich gekümmert habe."



Röntgenbild Schädel


Gabor Maté beschreibt diesen Zusammenhang in seinem Buch sehr eindringlich: "Wir können unsere Krankheiten nicht verstehen, wenn wir nicht bereit sind, unseren Lebensstil, unsere Beziehungen, unsere Emotionen und tieferen Überzeugungen zu hinterfragen. Krankheit ist keine zufällige Fehlfunktion, sondern oft eine sinnvolle Reaktion des Körpers auf anhaltenden Stress und emotionale Belastung."


Wir sind aktiv an jeder Krankheit als Entwicklung von uns mitbeteiligt, wir dürfen anfangen mit unseren Symptomen zu arbeiten und zu hinterfragen, was hinter der Spitze des Eisberges alles in Erscheinung kommt und warum wir so denken und handeln, wie wir es eben tun.

Dabei sind nicht nur körperliche Prozesse von Bedeutung, sondern unser komplexes neurologisches, immunoligisches, psychisches, soziales, emotionales, epigenetisches und spirituelles Dasein. Wir sind nicht zerlegbar in einzelne organische und systemische Teile.


Allein anatomische Zusammenhänge erlauben uns keine derartige Denkweise. Die Anheftung unseres Atemmuskels an der Lendenwirbelsäule, die Verbindung der harten Rückenmarkshaut vom Hinterhaupt zum Kreuzbein und die muskuläre Verbindung wie die des M. omohyodieus von dem Zungenbein zum Schulterblatt sind nur eine von zigtausenden bindegewebigen, nervalen Zusammenhänge, die eine solche Denkweise stützen.


Folgende Studie wurde in den USA zum Gebärmutterhalskrebs durchgeführt: Bei Frauen mit Unregelmäßigkeiten am Gebärmutterhals wurde im Zusammenhang eines Pap-Abstrich eine Gewebeprobe durchgeführt. Signifikant stieg dazu für Frauen die Wahrscheinlichkeit an Gebärmutterhalskrebs zur erkranken an, wenn sie jahrelang vor Feststellen der Diagnose deprimiert waren (4).




Unser Körper und der Geist erinnern sich ein Leben lang an vergangene Traumen, wenn sie auch noch so lange her sind: der Körpergeist vergisst nichts!

Auch ein operativer Eingriff verspürt unser Körper als Trauma. Die für heutiges Empfinden harmlose Blinddarm-OP (medizinisch wird der Wurmfortsatz und nicht der Blinddarm entfernt) bleibt auch nach 10 Jahren für die Wahrnehmung und das Bewusstsein unseres Ichs ein Leben lang präsent.

Dem jahrelang Bedeutungslosikeit zugeschriebenem Wurmfortsatz wird nach dem neuestem Stand der Wissenschaft eine hohe immunologische Funktion zugeschrieben. Eine Art Zufluchtsort für Darmbakterien, die maßgeblich für die Erneuerung der Darmflora zuständig ist. Des Weiteren ist der Wurmfortsatz durch das darin liegende Lymphgewebe mit einer hohen Zahl von weißen Blutzellen besiedelt, die eine zentrale Funktion bei der Abwehr von Infektionen haben (Berry 1900).

Gesund sein nicht gesund werden

Maté führt weiter aus: "Die Trennung zwischen Körper und Geist ist eine Illusion. Unsere Gedanken und Emotionen haben direkte Auswirkungen auf unser Nervensystem, unser Immunsysten und unsere Hormonregulation. Wenn wir unsere emotionale Wunden ignorieren, wird unser Körper oft für uns sprechen - durch Symptome und Krankheiten."


Das Prinzip der Salutogenese (Gesundwerdens) geht auf den amerikanisch-israelitischer Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923- 1994) zurück, das sich mit der Frage beschäftigt, welche Ressoucen und Resilienzen haben wir als Individuen, um uns gesund zu halten. Danach ist eine Krankheit oder ein Symptom, kein reines, isoliertes unabhängiges Problem oder als Defekt zu sehen, sondern als Teil des Ganzen mit uns verbunden.

Er stellte sich die Frage: Was erhält uns als Individuen gesund?

Dabei sind wie oben schon erwähnt sind Gesundheit und Krankheit keine "Zustände", sondern wir befinden uns permanent in einem Fluss zwischen beiden Polen.

Es ist kein reines Versagen auf körperlicher Ebene, sondern vielmehr eine Reaktion auf Belastungen mit dem Organismus umzugehen. Damit steht eine Art "Entwicklung" hinter dem Prozess des Krankswerden.


Zentraler Bestandteil davon ist das Kohärenzgefühl: die individuelle Fähigkeit, mit Herausforderungen, Stress und Krankheiten umzugehen. Ist das KohärenzGefühl entsprechend hoch werden auch schwierige Situationen mit Krankheiten oder Symptomen als bewältigbarer und positiver empfunden. Wir sind psychisch stabiler und gesünder.


"Krankheit ist eine Folge von generationsübergreifendem Leid, von sozialen Bedingungen, von kultureller Konditionierung, von Kindheitstraumata, von einer Physiologie, die die Hauptlast der Belastungen und der emotionalen Geschichte eines Menschen in Wechselwirkung mit seiner physischen und psychischen Umgebung trägt."


Die Erkenntnisse von Gabor Maté und die angeführten Studien verdeutlichen eindrucksvoll, wie eng unser körperliches Wohlbefinden mit unserem emotionalen und psychischen Zustand verknüpft ist. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, Krankheiten nicht isoliert zu betrachten, sondern den gesamten Menschen mit all seinen Lebensumständen einzubeziehen. Indem wir lernen, auf die Signale unseres Körpers zu hören und die tieferliegenden Ursachen von Symptomen zu hinterfragen, können wir einen ganzheitlichen Heilungsprozess fördern und zu einem umfassenderen Verständnis von Gesundheit gelangen.


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Quellen:

Dr. Gabor Maté: Vom Mythos des Normalen. Wie unsere Geellschaft uns krank macht und traumatisiert - Neue Wege zur Heilung S. 109f, 111-115,

(4) Psychotherapeutic Treatment of Cancer Patients, New York: Routledge 1990, 45

Deborah Talbot: Whats it like living with Lupus, in Elemental, 13.7.2018


 
 
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