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Plädoyer für den Squat 

  • Autorenbild: David Weber
    David Weber
  • 8. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Squat oder Hockbewegung

Man sitzt zu lange, man steht zu viel — und dabei vergisst man leicht, wie essenziell der Squat Kniebeuge) für unsere Bewegungsfähigkeit ist. Er ist kein Trainings-Gimmick, sondern eine fundamentale, uralte Bewegung: Wenn wir uns bücken, wenn wir aufstehen, wenn wir Last heben oder springen — überall kehrt die Kniebeuge wieder. Ein konsequent geübter Squat lehrt uns, die Schwerkraft zu spüren, das Gewicht bewusst zu steuern und Bewegungen sensibel durch den Endpunkt zu führen.


Doch was steckt wirklich dahinter? Wie ist der Squat historisch gewachsen, und welche Muskeln, Ketten und neuro-motorischen Aspekte sprechen hier mit? In diesem Text will ich dir nicht nur eine biomechanische Analyse liefern, sondern auch zeigen, warum im Training der Squat eine Rolle im täglichen Übungsprogramm haben sollte — und wie eine osteopathische Sichtweise ergänzend hilft, Hemmungen in Bewegungsmustern zu erkennen und zu lösen.



Herkunft des Squats



Der Begriff „Squat“ ist im Englischen verankert, bedeutet wörtlich „hocken, in die Hocke gehen“. In vielen alten Kulturen war die Kniebeuge-Alltagsbewegung: in Asien oder Indien sitzen Menschen häufig in tiefer Hocke, als natürliche Ruhe- oder Arbeitshaltung.


In der Geschichte des Kraftsports tauchen Kniebeugen unter anderem im späten 19. Jahrhundert auf, parallel zur aufkommenden „Physical Culture“-Bewegung, die Training, Körpermechanik und freie Bewegung propagierte.


Eine historische Wegmarke ist Henry „Milo“ Steinborn, der als eine Schlüsselfigur gilt, den Barbell-Squat populär zu machen: Er führte den schwer beladenen Squat ohne Hilfsmittel durch und inspirierte damit spätere Generationen von Kraftsportlern.


So ist der Squat eine Evolution vom natürlichen Bewegungsmuster zum gezielt trainierten Kraftmittel.



Welche Muskulatur spricht der Squat an?


Beim Squat arbeiten Agonisten, Synergisten und Stabilisationselemente eng zusammen.


Hauptakteure (Agonisten):


  • Quadrizeps (vastus lateralis, medialis, intermedius, rectus femoris)

  • Gluteus maximus

  • (zum Teil posteriorer Anteil des Adduktors)



Synergisten / Mithelfer:


  • Hamstrings (biceps femoris, semitendinosus, semimembranosus)

  • Erector spinae

  • Wadenmuskulatur (Gastrocnemius, Soleus)

  • Adduktoren, insbesondere der hintere Anteil



Stabilisatoren / Rumpf / Core:


  • Tief liegende Bauchmuskeln (Transversus abdominis)

  • Multifidi

  • Schrägmuskulatur

  • Muskelgruppen des Beckenbodens



    All diese stabilisieren die Wirbelsäule und wirken Rumpfbeugekräften entgegen.



Squat als statische Ausführung: Beinachse & Rumpfstabilisierung


Wenn du zum Beispiel in der „Haltung halten“-Phase verweilst, also statisch die Beinhaltung hältst (z. B. beim Isometrischen Squat), greifen folgende Mechanismen:


  • Beinachse: Knie, Hüften und Sprunggelenke müssen in einer sauberen Achse stehen. Jeder Kipppunkt (z. B. Kniewin in oder außen) belastet das Gelenk ungleichmäßig.

  • Statische Rumpfkraft: Der Rumpf muss gegen das nach vorne-kippende Moment (durch die Körpermasse plus Last) mit stabilisierender Aktivität entgegen wirken. Das heißt: die tiefe Bauchmuskulatur und Rückenmuskeln spannen isometrisch, um Flexionskräfte auszubalancieren.

  • Druckverteilung in Bein und Fuß: Dass du spürst, wie das Gewicht über die Ferse, Mittelfuß oder auch zum Vorderfuß kontrolliert wird — das gehört zur kinästhetischen Wahrnehmung, die mittrainiert wird.



In der statischen Phase wird nicht so sehr Kraft erzeugt wie Energie gehalten — doch das erfordert ein sehr feines Zusammenspiel von Muskeln, Faszien und neurologischen Mustern.



Dynamischer Squat: Muskelaktivierung in den Phasen



Der dynamische Squat lässt sich grob in zwei Hauptphasen unterteilen:


  1. Exzentrische Phase (Absenken / Hinsetzen)

  2. Konzentrische Phase (Aufstehen / Explosives Hochdrücken / Absprung)




Exzentrische Phase (hinsetzen, Landung, Gewichte absetzen)



  • Die Beinkette (Quadrizeps, Hamstrings, Gluteus) arbeitet exzentrisch, um die Bewegung kontrolliert zu bremsen.

  • Das heißt: die Muskelfasern werden gedehnt unter Last, sie steuern das Abbremsmoment.

  • Insbesondere Quadrizeps leisten viel Arbeit gegen das Beugen im Knie, Gluteus und Hams helfen unter Spannung, um das Becken stabil zu führen.



Konzentrische Phase (Aufstehen, Absprung, schwere Lasten heben)



  • Hier kommt der „Power“-Moment: Die Beinkette kontrahiert aktiv, um Hüfte, Knie und Sprunggelenk zu strecken.

  • Gluteus maximus wird stark aktiv, um das Hüftgelenk durchzuziehen.

  • Quadrizeps helfen, das Knie zu strecken, besonders in der unteren Zone.

  • Bei Sprüngen oder Absprüngen kommt noch eine explosive Komponente hinzu — es wird über das Dehnen zur Verkürzung (Stretch-Shortening Cycle) gearbeitet, Energie zwischengespeichert und abgegeben.



In schweren Lasthebe-Situationen ist der Squat ein Mittel, Kraft über mehrere Gelenke gleichzeitig aufzubauen und zu übertragen.


Zahlreiche Studien zeigen, dass unterschiedliche Squat-Techniken (z. B. Variation der Fußstellung, Stellung des Rumpfes) die Aktivierung von Quadrizeps, Gluteus und Rücken unterschiedlich beeinflussen.


Zum Beispiel konnte in einer Studie gezeigt werden, dass beim High-Bar-Squat die Aktivität von Rectus femoris, vastus medialis und unteren Rücken etwas höher ist als beim Low-Bar-Squat.



Komplexe Aktivität der Bein-Rumpf-Kette (z. B. Rudern, Laufen, Landungen)



Squats trainieren nicht isoliert Muskeln, sondern Bewegungsmuster, die sich in vielen Alltags- und Sportbewegungen widerspiegeln.


  • Beim Rudern etwa ist die Bein-Rumpf-Verbindung entscheidend: Der Krafteinsatz startet oft über Bein- und Hüftstreckung, überträgt sich über das Becken und den Rumpf in den Oberkörper.

  • Beim Laufen und Springen: Ein guter Squat stärkt die Fähigkeit, Schub zu geben (Push-off), Landungen zu dämpfen und das Rumpfzentrum stabil zu halten — also die Verkettung von Fuß über Bein bis zum Oberkörper.

  • Bei Landungen und harten Lastenbewegungen ist es entscheidend, wie gut das System exzentrisch kontrolliert, den Impuls ableitet und sofort wieder stabil ist.



Gerade diese ganzheitliche Kette unterscheidet den „guten Squat“ vom reinen Muskeltraining: Es geht um Koordination, Timing und Integration.



Bewegungsmuster & Neurozentral gespeicherte Steuerung



Ein wesentlicher Punkt, den man im Training oft übersieht: Bewegungen sind keine isolierten Muskelaktionen oder einfache Gelenkroutinen, sondern komplexe Bewegungsmuster, die im Gehirn gespeichert sind.


  • Dein zentrales Nervensystem weiß, wie ein Squat „sich anfühlen“ soll — es orchestriert Muskelgruppen, sensorische Rückkopplung und Timing.

  • Wenn du nur einzelne Muskeln trainierst, greifst du nur an einer Schraube — das System bleibt limitiert.

  • Trainierst du aber Bewegungen im Ganzen (mit Fokus auf Empfindung, Endpunkt, Fluss), dann lernst du, Bewegungen besser zu steuern, ineffiziente Teilbewegungen zu glätten und Hemmungen aus dem System zu nehmen.



Darum gehört der Squat in dein tägliches Übungsprogramm — nicht zwingend schwer, aber konsequent in Technik, Wahrnehmung und Haltung.



Mentale Einstellung, Schwerkraft fühlen & Bewegungsfluss


Wenn du eine Bewegung machst, sei dir bewusst: Du interagierst mit der Schwerkraft. Du spürst das Gewicht, die Richtung der Kraft, den Fluss.


  • Die mentale Einstellung ist entscheidend: „Ich führe die Bewegung, ich fühle das Gewicht, ich steuere bewusst.“

  • Fließende Bewegungen bedeuten: nicht abrupt stoppen, sondern Übergänge harmonisch gestalten — durch den Endpunkt hindurch, nicht dagegen.

  • Gerade der Squat lehrt uns Achtsamkeit auf Gewicht, Spannung und Entspannung — vom tiefsten Punkt zurück in die Streckung, in einem kontrollierten, bewussten Ablauf.



Wer das verinnerlicht, trainiert nicht nur Muskeln, sondern Körperintelligenz.



Der Squat im täglichen Übungsprogramm & Rolle der Osteopathie



Der Squat gehört in jeden sinnvollen Trainings- oder Bewegungstag. Schon wenige Wiederholungen, sauber ausgeführt, wirken nachhaltig auf Mobilität, Kraft und Körpergefühl.


Doch manchmal „blockiert“ etwas: Organische Verspannungen, Nervenirritationen, Faszienrestriktionen oder Bewegungshemmungen, die nicht nur in Muskeln, sondern im großen System sitzen — hier kommt die Osteopathie ins Spiel:


  • Ein osteopathischer Blick analysiert nicht nur Muskeln und Gelenke, sondern die Integration von Organen, Nerven, Faszien.

  • Wenn z. B. ein Organ (z. B. Zwerchfell, Darm) Bewegung hemmt, kann das über Faszien und Nervenketten auf Bein-Rumpf-Muster einwirken.

  • Eine osteopathische Behandlung kann solche Hemmungen lösen, Bewegungsfreiheit zurückbringen und das Trainingstechnik verbessern.



Also: Kannst du nicht optimal squat-technisch entwickeln, kann eine osteopathische Begleitung helfen, Ursache statt Symptom zu behandeln.


Osteopathie am Rücken

Fazit



Der Squat ist mehr als eine Kraftübung — er ist eine Schule des Bewegens. Sein Ursprung liegt in der natürlichen menschlichen Körpersprache, seine heutige Popularisierung im Kraft- und Bewegungsdrang des Menschen. In seinen statischen und dynamischen Phasen aktiviert er das gesamte System: Beinachsen, Rumpfstabilisation, exzentrische und konzentrische Arbeit, Verkettung mit funktionellen Bewegungen.


Doch Sinn liegt nicht allein in der Muskeltätigkeit, sondern im Bewegungsmuster selbst — im Gehirn gespeicherter Steuerungsarchitektur.


Darum sollte der Squat Teil deines täglichen Programms sein — mit einer Haltung der Aufmerksamkeit, Sensibilität und Achtsamkeit gegenüber der Schwerkraft. Und wo es systemisch klemmt, kann eine osteopathische Begleitung helfen, verborgene Bremsen zu lösen und echte Bewegung wieder zu ermöglichen.

 
 
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